Die wichtigste Wahl in der Weltpolitik in diesem Jahr steht vor der Tür: Wer wird auf Bundeskanzlerin Angela Merkel folgen? Der folgende Beitrag erläutert, welche Haltung eine neue deutsche Regierung in der geopolitischen Wettbewerb zwischen den USA und China einnehmen könnte.

Nach 16 Jahren Angela Merkel hat sich die Rolle Deutschlands in der Welt deutlich verändert. Von der Bewältigung der Euro-Krise bis hin zum transatlantischen Balanceakt während der Trump Präsidentschaft: Deutschland ist unter Merkel zu einer angesehenen, moderierenden Kraft in der Weltpolitik gewachsen. Möglich machte dies eine Außenpolitik, die sowohl den normativen als auch ökonomischen Einfluss zur Deeskalation von Krisen nutzt. Mit einem fast stoischen, sachlichen Führungsstil stand Merkel trotz kriselnder Momente stets für Stabilität in den bilateralen Beziehungen zu den USA. Gleichzeitig verfolgte Merkel gegenüber China eine geoökonomisch motivierte Haltung, mit der Deutschland sowohl transatlantische Prioritäten als auch wirtschaftliche Interessen Deutschlands gegenüber China verknüpfen konnte. 

Angesichts zunehmender geopolitischer Spannungen zwischen Washington und Peking wird der Wahlkampf in Deutschland in beiden Hauptstädten genau verfolgt. Washington und Peking werden eine Reihe möglicher Koalitionsszenarien einkalkulieren müssen – mit unterschiedlichen Implikationen für die deutsche Außenpolitik. Für das Kanzleramt bewerben sich die Konservativen (CDU/CSU), die Sozialdemokraten (SPD) und die Grünen. Unabhängig vom Wahlausgang wird ein neuer Bundeskanzler oder Bundeskanzlerin eine außenpolitische Haltung gegenüber China definieren müssen, denn Washington erhöht den Druck fordert einen härteren Kurs gegenüber China. Der Ausgang der Bundestagswahl ist daher für die Rolle Deutschlands in den trilateralen Beziehungen richtungsweisend. 
 

Die Grünen signalisieren das Ende von Merkels China-Politik; Konservative und Sozialdemokraten positionieren sich als moderierend 

Peking wird Merkels Abschied aus der Politik sicherlich bedauern. Für China wird eine deutsche Bundesregierung nach 16 Jahren relativer Kontinuität der deutschen China-Politik weniger berechenbar sein. Trotzdem dürfte China gelassen bleiben, denn Peking weiß um das Abhängigkeitsverhältnis der EU zu China, die in den letzten Jahren durch das Machtstreben Chinas zunehmend verschärft wurde. In Deutschland und in der EU ist China deshalb nicht nur „Partner“, sondern „Systemrivale“. Auch die deutsche Wirtschaft schlägt deshalb Alarm: China müsse einen faires und offenes Marktgeschehen ermöglichen. Auf EU-Ebene wird unter anderem die Einführung von Antisubventionsmaßnahmen gefordert. Pekings „Strategie des doppelten Wirtschaftskreislaufs“, die angesichts globaler Handelskonflikte die heimische Produktion stärken und die Abhängigkeit vom Ausland verringern soll, wird in Teilen der deutschen Wirtschaft ambivalent gesehen. Die Strategie soll zwar ausdrücklich Anreize für ausländische Investitionen schaffen. Doch langfristig gesehen könnte China durch den Ausbau seiner Führungsrolle in Zukunftstechnologien, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie in China und auf den Weltmärkten erheblich beeinflussen.  

CDU/CSU und SPD verfolgten in der Regierungsverantwortung gegenüber China stets einen Weg zwischen Konfrontation und Kooperation. Beide Regierungsparteien betonten weiterhin die Notwendigkeit guter Wirtschaftsbeziehungen. Gleichzeitig herrscht heute parteiübergreifend weitgehend die Auffassung, dass China ein Konkurrent, ein Kooperationspartner, aber auch ein Systemrivale ist. Die Grünen streben dabei vergleichsweise den härtesten Kurs gegenüber China an. Aufgefallen sind die Grünen im Europäischen Parlament durch die lautstarke Opposition gegen das Investitionsabkommen mit China. Nicht unweit weg positioniert sich die wirtschaftsliberale FDP, die im Vergleich zu den Regierungsparteien die Menschenrechtssituation in China mehrfach öffentlich angeprangert haben. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit einer grünen Bundeskanzlerin schwindet, werden die Grünen und/oder die Liberalen voraussichtlich Juniorpartner einer künftigen Regierung werden. Somit könnte das Auswärtige Amt von den Grünen oder Liberalen verantwortet werden.
 

Deutschland wird taktisch und überlegt handeln, wenn es eigenen Interessen dient  

Die USA werden eine selbstbewusstere Haltung gegenüber China sicherlich begrüßen und weiterhin anstreben, Deutschland als Partner für einen härteren Kurs gegen China zu gewinnen. Eine Bundesregierung unter Führung der CDU/CSU oder der Sozialdemokraten dürften der Haltung der USA weiterhin eher zögerlich gegenüberstehen. Deutschland wird daher wahrscheinlich taktisch vorgehen, um der Erwartungshaltung von Washington entgegenzukommen. Sie wird wie im Falle der jüngsten gezielten US-EU-Sanktionen gegen China wegen der Menschenrechtssituation in Xinjiang eher auf europäischer Ebene agieren, als die Beziehungen mit China bilateral ernsthaft zu gefährden. Jedoch werden auch hier weder Deutschland noch die EU den Forderungen aus den USA blind folgen. Es war die Bundesregierung, die härtere Sanktionen gegen China ablehnte, da die USA nicht bereit zu Zugeständnissen waren, durch stärkere Sanktionen resultierende Handelsverluste mit China auszugleichen. Letztlich veranlassten Vergeltungsmaßnahmen Pekings die EU dazu, die Ratifizierung des Investitionsabkommens zwischen der EU und China zunächst auszusetzen. 

Die USA haben indes den Druck auf ihre Verbündeten erhöht, chinesische Unternehmen wie Huawei aufgrund nationaler Sicherheitsbedenken aus Infrastrukturprojekten auszuschließen. Bisher nimmt Deutschland in diesem Konflikt eine eher neutrale Position ein. Zwar kann Deutschland mit dem „IT-Sicherheitsgesetz 2.0“ nun „nicht vertrauenswürdige“ Anbieter vom 5G-Ausbau ausschließen. Aber bisher hat es Deutschland unter Merkel vermieden, einzelne Anbieter vollständig auszuschließen. Damit bleibt die genaue gesetzliche Auslegung einer künftigen Bundesregierung überlassen, welche angesichts einer fragmentierten politischen Landschaft eine starke politische Durchsetzungsfähigkeit erfordern wird. Entscheidend könnte hier die Rolle der Grünen und/oder FDP werden:  Beide Parteien lehnen die Beteiligung chinesischer Unternehmen am Ausbau der digitalen Infrastruktur in Deutschland dezidiert ab. 
 

Das Jahr 2022 steht bereits im Zeichen wichtiger Bewährungsproben

Eine neue Bundesregierung wird voraussichtlich im Vorfeld der Olympischen Winterspiele in China im Februar 2022 vor ihrer ersten Bewährungsprobe stehen. Angesichts der Rufe nach einem diplomatischen Boykott werden Peking und die internationale Gemeinschaft genau beobachten, wie sich die deutsche Regierung positioniert. Gleiches gilt für Unternehmen, die als Sponsoren der Olympischen Winterspiele einer besonders kritischen Öffentlichkeit und damit einem Reputationsrisiko ausgesetzt sind. Im Oktober selben Jahres wird die Kommunistische Partei Chinas ihren 20. Parteitag abhalten und dürfte China international besonders selbstbewusst auftreten. Dies könnte außenpolitische Kompromisse deutlich erschweren. Die deutsche und europäische Wirtschaft werden sich daher auf weitere geopolitische Spannungen vorbereiten müssen. 
 

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